Frage & Antwort zum Dharma 

01.05.2022

Ani Karma Tsultrim beantwortet Fragen zum Dharma


Wie sollen wir aus buddhistischer Sicht mit den aktuellen Ereignissen umgehen?

Innere Harmonie in schwierigen Zeiten

Gedanken zum Weltgeschehen, das uns jetzt 'vor unserer Haustür' erreicht hat

In diesen Tagen werden für uns die 'Vier Edlen Wahrheiten' des Buddha besonders präsent. Wir sollten sie kontemplativ in der Meditation betrachten und uns daran erinnern, dass diese Menschenwelt eine samsarische Welt ist und immer war - und dass es einen Weg gibt, der aus der Verstrickung in Leiden herausführt. 

Die Praxis der Gemütsruhe und des Gleichmuts wird unsere innere Balance stabilisieren und erhalten, auch wenn die äußere Welt ins Wanken gerät.

Ein Geist, der von Emotionen aufgewühlt ist, ist ein unruhiger Geist. Er führt zu noch mehr Emotionen, aus denen unheilsame Gedanken, depressive Stimmung und unüberlegte Handlungen resultieren. Durch so einen Geisteszustand würden wir unsere negative innere Atmosphäre nach außen verbreiten und so zu mehr Angst und Instabilität beitragen.

Deshalb erinnert euch an die Klarheit des Geistes, an innere Balance, Harmonie und Gleichmut. Das Leben entfaltet sich jeden Tag neu und frisch. Wenn wir aufwachen, können wir diesen neuen Tag begrüßen und in Dankbarkeit dafür sein, das Leben leben zu dürfen. Wenn wir abends einschlafen, sollten wir in Liebender Güte und Mitgefühl all jener Menschen gedenken, die Leid erfahren haben, nicht nur durch Anschläge, Terror und Krieg - sondern auch durch Krankheit, Unfälle, psychische Verletzungen, Unzufriedenheit, Einsamkeit und durch all die schlimmen Dinge, die Tag und Nacht ungesehen hinter den Wänden der Wohnungen geschehen. Und das sind weltweit unzählige Menschen, die täglich sterben, getötet oder physisch und psychisch verletzt werden. So viele Tränen, so viele Einzelschicksale durch Kämpfe im Inneren wie im Aussen. Es ist schon so zu unserer Gewohnheit geworden, dass all das für uns zum Leben gehört, wir es als unabwendbar, als selbstverständlich hinnehmen und all dieses Samsara als Normalität betrachten. Bis jetzt - wo wir plötzlich aufgerüttelt werden.

Denke daran: Samsara ist Dukkha (Leiden, Mangelerfahrung). Befreie Dich davon in Deinem Inneren, indem Du Dich in Hinwendung und Mitgefühl für die Lebewesen und ihr Leiden öffnest und gleichzeitig durch Weisheit, die tiefer Einsicht entspringt, in ausbalancierter innerer Harmonie gleichmütig verweilst. Durch diese innere Stabilität und Distanz haben wir die Kraft, uns ganz hinzugeben und zum Wohl von anderen beizutragen.

Und denke auch stets daran: Wo immer etwas passiert, wo Menschen und Tieren Leid zugefügt wird, sind auch immer Helfer zur Stelle. Überall auf der Welt gibt es so viele hilfsbereite Menschen, die sich für andere Lebewesen einsetzen, ihnen aufopfernd beistehen. Schaut auf die Helfer! Orientiert euch am Guten! Es ist die stärkere Kraft. Das Unheilsame, Leidbringende ist schwach aber laut. Das Heilsame ist stark und leise. Lasst euch nicht vom Lauten irritieren. Innere und äußere Stille sind Zeichen des Guten, Heilsamen. Schau auf die Helfer in Liebe und mit Dankbarkeit. Unvoreingenommene, nicht wertende Liebe und Dankbarkeit sind das, was uns stützt, was die Welt stützt, was uns immer wieder Kraft gibt für unser eigenes heilsames Wirken.

Sei dankbar und offen - dann öffnet sich der WEG. Auch wenn es in der Welt düster aussieht, unser spiritueller Innerer Reichtum ist unantastbar, unzerstörbar. Nenne ihn inneren Frieden, Befreiung, Nirvana, Buddhanatur oder wie auch immer. Worte spielen keine Rolle. Nur diese Gewissheit um die letztendliche Wirklichkeit ist wichtig. Sie ist unsere Stärke, unser Schutz, unser wahres Zuhause.

Weg und Verwirklichung sind in uns. Es ist unser Innerer Reichtum, den uns niemand und nichts nehmen kann, außer wir selbst, wenn wir uns in die Welt verstricken anstatt mit Liebender Güte und innerer Harmonie das beizutragen, was unsere Aufgabe ist. Denke stets daran und hilf mit, durch Deine Meditationspraxis und Deine daraus resultierenden Handlungen das Heilsame, die Energie der Liebe und des Lichts in dieser Welt zu stärken. Du trägst damit zur Heilung von Menschen, Tieren, der gesamten Natur und damit der Welt bei.

Ahimsa paramo Dharma - Gewaltlosigkeit ist der unübertreffliche Dharma

© Ani Karma Tsultrim; Artikel von 2016, überarbeitet und aktualisiert im April 2022 

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Was ist wahre Liebende Güte? 

"Am Anfang des geistigen Weges bezieht sich die Liebe auf die Wesen. Die Liebe dessen, der auf dem Weg fortgeschritten ist, ist im Dharma begründet. Wer erkannt hat, dass alle Dinge ungeboren sind, dessen Liebe ist auf nichts mehr gegründet." (Siksa-samuccaya 12) - Die Entwicklung von echter, bedingungsloser Liebe ist ein stufenweiser Prozess auf dem Weg zur Erleuchtung. Die weltliche Liebe braucht ein Gegenüber. Die Liebe eines Dharma-Praktizierenden umfasst alle Lebewesen. Die erleuchtete Liebe ist ein Seins-Zustand ohne Bezugspunkt. Überprüfe deine geistige Haltung an diesen drei Aussagen. Dann verstehst du den Sinn des Weges.

© Ani Karma Tsultrim 


Was unterscheidet die Lehre des Buddha von einer Philosophie?

Der Dharma, die Lehre des Buddha, ist erlebbare Wirklichkeit, sowohl auf der relativen, als auch auf der absoluten, letztendlichen Ebene. Jeder, der die Anweisungen praktiziert, kann diese Wahrheiten in sich selbst erfahren.

Somit ist der Dharma kein von Menschen aufgestelltes philosophisches Gebäude. Er ist kein Dogma und nichts, an das man glauben müsste. Deshalb wird die buddhistische Lehre heute oft als die Wissenschaft vom Geist und seiner Funktionsweise bezeichnet. Das ist durchaus richtig, es darf dabei aber nicht die spirituelle, das heißt religiöse und mystische Dimension übersehen werden (siehe dazu die Beiträge zu Religion, Mystik und Praxis unten im Blog).

Nun hat sich im Laufe der letzten 2.000 Jahre auf der Grundlage der ursprünglichen Lehre des Buddha ein philosophischer Überbau entwickelt. Dieser ist auf die historische Entwicklung der verschiedenen Traditionen und Schulen zurückzuführen, die im Laufe der Zeit entstanden sind. Gelehrte unter den Ordinierten und Laien begannen, den Dharma nicht einfach nach den klaren und direkten Anweisungen des Buddha zu praktizieren, sondern die Inhalte zu systematisieren, unterschiedlich auszulegen und philosophische Kommentare dazu zu verfassen. So umfasst das, was heute Buddhismus genannt wird, den Buddha-Dharma als praxisbezogenen Weg einerseits, eine fast unüberschaubare Kommentarliteratur und sogar ein akademisches Studium andererseits.

Aber: Jeder Lehrer oder Meister, dem es darum geht seine Schüler auf dem Weg zur Befreiung anzuleiten, weist diese darauf hin, dass der Weg nicht durch Anhäufung von Wissen verwirklicht werden kann, sondern nur durch Praxis, das heißt durch Arbeit am Geist. Der Buddha-Dharma ist in der Essenz keine Philosophie, sondern besteht aus klaren Anweisungen, wie wir uns aus der Verstrickung im Leidenskreislauf lösen können. Dazu hat der Buddha die "Drei Pfeiler des Weges" als Basis gelehrt: Ethik, meditative Konzentration und rechte Sicht, die zu Weisheit, das heißt zur erfahrbaren Erkenntnis von der wahren Wirklichkeit führt.  

© Ani Karma Tsultrim 


Ist der Buddhismus eine Religion oder ist er Mystik?

Auch wenn heutzutage manchmal behauptet wird, dass der Buddhismus keine Religion sei, so hat er doch einen tief religiösen Aspekt. Der eigentliche und tiefe Sinn der buddhistischen Praxis ist Befreiung über den Tod hinaus. Dazu gibt es viele Methoden der Geistes-Schulung, auch um sich auf den Übergang im Tod vorzubereiten. Leben und Tod werden als Einheit betrachtet. Wenn etwas entsteht, wird es auch wieder vergehen. Was geboren wird, muss sterben. Was niemals geboren wird, kann nicht sterben. Wir sprechen im Buddhismus von der ungeborenen Buddhanatur, dem Buddha in uns - dem Licht im Dunkel allen Leidens. Erleuchtung bedeutet, den Buddha in uns vollkommen zu verwirklichen. Der Weg ist ein spiritueller, religiöser Weg, der uns über uns selbst, unser Ich-und-Mein hinauswachsen lässt.

Wenn der Buddhismus nur als Geistestraining und als Wissenschaft vom Geist bezeichnet wird oder gar auf die weltliche Ebene eines säkularen Buddhismus heruntergezogen wird, wird man dem Buddhadharma und insbesondere seiner tiefen spirituellen Aspekte nicht gerecht. Auf einer bestimmten Ebene der Praxis ist er tiefgründige Mystik. Dazu gehören u.a. Einheitserfahrungen, die mystische Zustände auf einer subtilen Ebene des Bewusstseins sind. Sie hängen mit den Jhanas, den Vertiefungen zusammen, die aber noch nicht Befreiung bedeuten. Der Buddha lehrte, dass diese Erfahrungen transzendiert werden müssen, um Befreiung zu erlangen. Er hat über eine höhere Wirklichkeit nicht direkt gesprochen, sie aber auch nicht abgelehnt. Er ist über alle Konzepte und Vorstellungen davon hinausgegangen. Der Buddha lehrte, dass letztendlich Subjekt und Objekt, Ich und Du, Welt und Jenseits nicht vereint werden, sondern dass sie transzendiert werden. Das heißt, die höchste Verwirklichung ist vollkommene Freiheit von jeder Dualität, jeder Vorstellung, auch von einer Einheitserfahrung. Diese kann uns zwar in eine höhere Existenz führen. Erleuchtung aber, wie sie der Buddha selbst erfahren und verwirklicht hat, geht über alle diese Erfahrungen noch hinaus. Das letztendliche Nirvana ist Todlosigkeit, das heißt jenseits von Geburt und Tod, jenseits von Entstehen, Vergehen und Verweilen, also höchste Mystik, wie sie in den altindischen Überlieferungen und auch bei christlichen Mystikern zu finden ist. 

© Ani Karma Tsultrim 

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Was ist buddhistische Praxis?

Die Lehre des Buddha ist ein komplexes System, um den Geist zu trainieren und nach und nach von allen Schleiern zu befreien. Nirvana (Sanskrit) bzw. Nibbana (Pali) heißt "Verlöschen". Was erlischt? Es ist das Feuer der Geistesgifte Begierde und Anhaftung, Abneigung und Hass, Stolz und Egoismus, Neid und Eifersucht, Verblendung und falsche Sicht, das in uns brennt und uns in Samsara, dem ständigen Kreislauf des Leidens gefangen hält. Ist der Geist davon befreit, sind wir frei, befreit, erwacht. Das ist Bodhi, Erleuchtung, das Erwachen aus dem Traum von Samsara.

Das Training, die Praxis besteht aus Meditations-Übungen, die zu Gemütsruhe (Samatha), Einsicht (Vipassana), Transformation und offenem Gewahrsein führen. Es ist eine Schulung in Mitgefühl und Weisheit. Dadurch finden wir zu innerer Stille und spiritueller Heilung. Wir entwirren den Knoten unserer Probleme, Schwierigkeiten und der Unzufriedenheit, in dem wir gefangen sind, und durch den wir für uns und andere immer wieder Leiden erzeugen. Der Weg zur Befreiung liegt in jedem von uns.

Wenn jeder Einzelne nur ein bisschen liebevoller, verständnisvoller, mitfühlender und einsichtiger würde, sähe diese Welt gleich anders aus. Es gäbe weniger Gewalt, Betrug, Zerstörung, Leid...

© Ani Karma Tsultrim